Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag „Patientensicherheit bei Aligner-Behandlungen durchsetzen“ - Drucksache 19/25668 vom 05.01.2021 zur Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 17.05.2021
15.04.2021
Die FDP-Bundestagsfraktion fordert mehr Sicherheit für Patientinnen und Patienten bei der sogenannten Aligner-Behandlung.
1. Beobachtung und Problem:
Hintergrund ist die beobachtete Entwicklung, dass immer mehr rein gewerblich ausgerichtete Unternehmen mit hohem Marketing-Aufwand, insbesondere direkt gegenüber der erwachsenen Bevölkerung, ein weithin ästhetisch begründetes Bedürfnis wecken mit der Folge nach einer steigenden Nachfrage nach einer Korrektur vermeintlicher Zahnfehlstellungen.
Der langwierige „Behandlungsprozess“ einer sogenannten Aligner-Therapie erfolgt mit einer Vielzahl nacheinander auszutauschenden neuen Kunststoffschienen. Dies geschieht bei diesen Unternehmen oft ohne zahnmedizinische Diagnostik, Beratung und Begleitung.
Die Geschäftsanbahnung mit dem Patienten verläuft häufig über das Internet. Hierbei wird u.a. ein Geschäftsmodell verfolgt, bei dem nach dem Zahnheilkundegesetz originäre zahnmedizinische Leistungen, wie zum Beispiel die Abdrucknahme des Kiefers mittels Abformmassen, vom Kunden/Patienten selbst vorzunehmen sind.
2. Position des VDZI:
Gerade die Präzision dieser Abdrucknahme des Kiefers mit Abformmassen ist für eine zahnmedizinisch sachgerechte Diagnostik und Therapieplanung die zentrale Voraussetzung. Eine Röntgendiagnostik ist ebenfalls angezeigt. Ohne eine zahnmedizinisch korrekte Abdrucknahme ist die zahntechnische Herstellung einer patientenindividuellen Schiene mit dem fachlich notwendigen Präzisionsgrad nicht hinreichend gesichert.
Der Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI) teilt uneingeschränkt die berechtigten Bedenken der FDP-Bundestagsfraktion und sieht rechtlichen Klarstellungsbedarf und Regelungslücken, die zu schließen sind, damit unvertretbare Gesundheitsrisiken und Schäden vermieden und absehbare Folgekosten für die Betroffenen und die gesetzlichen wie privaten Krankenversicherungen verhindert werden.
Das Tragen einer Schiene mit der Funktion einer Korrektur der Zahnstellungen ist ein Eingriff in das stomatognathe System als anatomische Gesamtheit des Zahn-, Mund- und Kiefersystems mit all seinen unterschiedlichen Komponenten und Strukturen und deren biomechanischen, funktionellen Zusammenhängen und neuromuskulären Wechselwirkungen.
Daher führt das Tragen einer Kunststoffschiene, gleichgültig ob das damit verbundene Ziel rein ästhetischer Natur ist oder ob dabei erstrangig medizinische oder zahnmedizinisch begründete Therapieziele verfolgt werden, zu vielfachen Änderungen der Zahnstellungen im Kiefer und wirkt direkt auf die Kiefergelenke, den Zahnhalteapparat und auf das Gesichtsmuskelsystem, insbesondere der Zunge und der Lippen.
Eine reine gewerblich-werbende Bedürfnisweckung zur Beseitigung von Fehlstellungen und eine hierdurch ausgelöste Ausweitung von zahnmedizinisch nicht verantworteten und kontrollierten Anwendungen von solchen sogenannten Aligner-Schienen erscheint schon aus gesundheitspolitischer Sicht einer bedarfsorientierten medizinischen Versorgung fragwürdig. Sie würde auch unzweifelhaft mit großen Schadensrisiken und Kosten verbunden sein. Durch eine im Zuge einer Marktausweitung massenhaft prognostizierbare Zahnlockerungen würden auf mittlere Sicht höchstwahrscheinlich zu einem höheren Bedarf an zahnärztlicher Versorgung, insbesondere mit Zahnersatz führen.
Ein Beibehalten des Laissez-faire für den „Markt“ der Aligner-Behandlung würde daher insgesamt nicht nur zur Erosion des bewährten Gefahrenabwehrrechts im Gesundheitswesen mittels erfolgreicher qualifikationsgebundener beruflicher Zulassungsverfahren führen, sondern es wäre ebenso gesundheitspolitisch wie gesundheitsökonomisch ein Irrweg.
Daher muss auch für die hier gegenständliche sogenannte Aligner-Behandlung wie bei allen Eingriffen in das stomatognathe System gelten:
- Die Feststellung und die Behandlung von Anomalien der Zahnstellung ist, unabhängig aus welchem Motiv, zur Gefahrenabwehr, d.h. zum Schutz des Individuums, dem approbierten Zahnarzt vorzubehalten.
- Die Herstellung von Schienen als zahnmedizinisches Therapiemittel ist eine zahntechnische Sonderanfertigung, sie unterliegt den besonderen Anforderungen nach dem Medizinprodukterecht und bedarf einer entsprechenden Konformitätserklärung.
- Die Herstellung zahntechnischer Leistungen ist in Deutschland zur Gefahrenabwehr, d.h. zum Schutz des Individuums, dem zulassungspflichtigen, weil gefahrengeneigtem Gesundheitshandwerk mit Meisterpräsenz nach Anlage A der Handwerksordnung vorzubehalten.
Der Antrag der FDP Bundestagsfraktion - Drucksache 19/25668 - ist hier abrufbar.
Die Stellungnahme des VDZI zum Antrag der Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag „Patientensicherheit bei Aligner-Behandlungen durchsetzen“ Drucksache 19/25668 vom 05.01.2021 finden Sie hier zum Download.