Lernen in Corona Zeiten
Aus der Berufsschulpraxis berichten Berufsschullehrer Joachim Birke aus der berufsbildenden Alice-Salomon-Schule Hannover und Markus Lensing aus dem Albrecht-Dürer-Berufskolleg in Düsseldorf über ihre Erfahrungen und „lessons learnt“ in der anhaltenden Pandemie aus der „neuen Realität“ eines Berufschullehrers.
In der Anfangsphase von Corona blieben viele Berufsschulen bundesweit vorerst komplett geschlossen. Von heute auf Morgen musste also eine schnelle Lösung gefunden werden, wie der Unterricht in präsenzfreien Unterrichtszeiten weitergeht. Schulen, die bereits über eine gute technische Ausstattung und Knowhow verfügen und deren Lernpersonal bereits mit digitalen Techniken Erfahrung hat, befinden sich nun klar im Vorteil.
Joachim Birke, Fachlehrer an der Alice-Salomon-Schule Hannover, berichtet, dass seine Schule bereits vor Corona technisch gut ausgestattet war und digitale Techniken nutzte: Die Schule verfügt über ein freies WLAN für die rund 3.000 SchülerInnen und operiert mit einem eigenen Schulserver, auf den Unterrichtsmaterialien und Informationen für die SchülerInnen zur Verfügung gestellt werden können. Jede(r) SchülerIn hat zudem eine personalisierte Schul-E-Mail-Adresse und kann den Server Messenger Service nutzen. Gute Startbedingungen für den „digitalen“ Unterricht, denn so konnten die Lehrer mit den SchülerInnen über den Server und den bereits angelegten E-Mail-Adressen schnell in Kontakt treten sowie ihnen Aufgaben und Infos zukommen lassen.
Ein großer Vorteil, denn in Niedersachsen hat das Kultusministerium eine Verfügung erlassen, die den Berufsschulen schon vor Ostern die Anweisung gab „im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter zu unterrichten“, damit es nicht zu Lernausfällen kommt. Durch die bereits vorhandenen Kommunikationskanäle der Schule war zum Beispiel auch die Anwesenheitskontrolle der SchülerInnen am virtuellen Unterricht kein Problem, erzählt Birke. Er lobt die Zusammenarbeit der Schule mit der Zahntechniker-Innung Niedersachsen (ZINB). In Ihrem Innungsrundschreiben informierte die ZINB die Betriebe über die notwendige Freistellung der Auszubildenden für den Berufsschulunterricht im „Lernen zu Hause“. An der Alice-Salomon-Schule findet der Unterricht mittlerweile wieder vor Ort, allerdings in Kleingruppen aufgrund der Kontaktbeschränkungsauflagen, statt. Abwechselnd werden dort die geteilten Klassen eine Woche im Kleingruppenunterricht vor Ort oder online unterrichtet.
(Grund)Voraussetzungen des digitalen Lernens
Aber, wie funktioniert digitales Lernen von heute auf morgen in Klassen mit SchülerInnen mit verschiedener technischer Ausstattung und Knowhow aber auch unterschiedlichen Backgrounds? Nicht alle SchülerInnen verfügen über PCs, Laptops, Tabletts oder gar WLAN Zuhause, um am virtuellen Unterricht teilnehmen oder um Lehrer bei Fragen zum Beispiel via Videokonferenz kontaktieren zu können. „Ca. 1/3 meiner Schüler hat nur ein Smartphone mit limitierten Internet Datenvolumen“, sagt Birke. Auch das Schulnetz war zeitweise überlastet und führte zu Schwankungen in der Bandbreite. Das ist einer der Gründe, warum „virtueller“ Unterricht nicht für alle SchülerInnen reibungslos funktioniert.
Eine weitere Herausforderung ist die Lernkontrolle: „Im Unterricht sehe ich, wer Fragen oder Schwierigkeiten hat dem Unterrichtsstoff zu folgen, online ist das allerdings schwierig nachzuverfolgen.“ Deswegen ist es wichtig den Unterrichtsstoff und die Art und Weise der Unterrichtsmaterialien zu erstellen so niederschwellig wie möglich zu gestalten, damit jede/r SchülerIn die Aufgaben und Texte problemlos versteht. Als Beispiel nennt er Aufgabenblätter, die auch für Nicht-Muttersprachler leicht verständlich formuliert sind. Eine weitere Herausforderung neben der Unterrichtsvorbereitung ist die Unterrichtsnachbereitung, wie zum Beispiel, dass Kontrollieren von Hausaufgaben als Lernkontrolle. Die erste Hürde ergibt sich beim Ausdrucken der Arbeitsmaterialien, denn nicht jede(r) SchülerIn verfügt über einen Drucker. Hier seien die Ausbildungsbetriebe jedoch eine große Unterstützung und erlaubten den Auszubilden z.B. das Ausdrucken von Arbeitsmaterialien, berichtet Birke. Die Rücksendung der Aufgaben erfolgt auch schon einmal über das Abfotografieren und Versenden via Handy. Die Unterrichtsvor- und Nachbereitung nimmt mehr Zeit in Anspruch als im klassischen Unterricht, erzählt Birke. „Wir versuchen unser Bestes um unseren Lehrauftrag nachzukommen und auch den Schülern bei Fragen zur Verfügungzu stehen“. Während anfangs in der Krise der Unterricht 100% online erfolgen musste, besteht nun aufgrund der noch bestehenden Kontaktbeschränkungen die Schwierigkeit, die SchülerInnen, die nun in Kleingruppen aufgeteilt wurden und abwechselnd Präsenz- und virtuellen Unterricht haben, parallel zu unterrichten. Im Gegensatz zu anderen Berufen gibt es wenig Lehrmaterialien. Birke wünscht sich, dass es mehr Lernmaterialien gibt, die Lehrer für die SchülerInnen nutzen können. Viele LehrerInnen sind bereits kreativ und entwickeln eigene Lehrmaterialien, wie z.B. Lernvideos usw. für den Unterricht. Ein Austausch der Materialien unter den Schulen wäre eine sehr hilfreiche Sache. Zudem fehlt es noch an einem Lernsystem, das alle „Lernfunktionen“ bedient und Datenschutz-technisch konform ist. „Viele Apps und Lernprogramme, die es zurzeit gibt, können wir aus Datenschutzgründen nicht nutzen.“ E-Bücher, die auch für Smartphone leicht lesbar sind (EPUB-Format), wären hilfreich, wünscht sich Birke und hofft, dass Schulverlage in Zukunft auf die Nachfrage reagieren.
Er selbst fühlt sich aufgrund seiner „digitalen Lern-Vorerfahrung“ gut gewappnet für den digitalen Unterricht. Der Informationsaustausch und Fortbildungen im Bereich der digitalen Lernvermittlung werden in seiner Schüle gefördert und im Kollegium tauscht und hilft man sich untereinander aus.
Aber, wie schaut es bei der Azubi Generation Z aus, der Generation Jugendlicher, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind? Birke hat die Erfahrung gemacht, dass nicht nur manche LehrerInnen, sondern auch einige SchülerInnen nicht Technik affin sind und sich ebenfalls erst mit den neuen „Lernmethoden“ vertraut machen müssen. Die Hemmschwelle zu fragen, wenn etwas nicht verstanden wird, ist beim digitalen Lernen höher, erklärt er.
Berufsschullehrer Markus Lensing von dem Albrecht-Dürer-Berufskolleg berichtet trotz guter Ausstattung an seiner Schule von ähnlichen Herausforderungen in der digitalen Bildung.
Die Schule wurde beim Einzug in das neue Gebäude in 2018 digitaltechnisch mit Whiteboards, Beamer, Laptops und WIFI für die Auszubildenden ausgestattet und nutzt schon seit mehreren Jahren die Lernplattform Moodle, die allen Schulen seit einigen Wochen kostenlos landesweit zur Verfügung gestellt wird. Das Nutzen von Moodle ist von den LehrerInnen an der Schule nicht verpflichtend zu nutzen, sondern wird ihnen als Lernmanagementsystem angeboten. Um die technische Unterstützung für den digitalen Unterricht an der Schule kümmert sich Lensing zusammen mit dem Netzwerkadministrator der Schule.
Seit Mai findet an dem Berufskolleg der Unterricht je nach Ausbildungsjahrgang in Kleingruppen vor Ort statt. Die verkleinerten Klassen wechseln sich auch hier mit dem Präsenzunterricht wöchentlich ab. Lensing ergänzt seinen Unterricht zudem mit eigenen Lernvideos. Diese kommen nicht nur SchülerInnen, sondern auch LehrerInnen zugute. Auf seiner Webpage Online-Lehrbuch www.wikidental.de richtet er sich auch an KollegInnen via Video und gibt Tipps, wie Unterricht digital gestaltet werden kann.
Trotz aller Technik und Knowhow auf der Berufsschulseite, müssen auch auf der Azubi-Seite bestimme Voraussetzungen gegeben sein. Wie Birke bestätigt auch Lensing, dass längst nicht alle SchülerInnen über ein kompatibles Endgerät und/oder Zugang zum Internet verfügen, um online am Unterricht teilnehmen zu können. Manchmal scheitert es an der fehlenden Hardware, der schlechten Internetverbindung oder den digitalen Kompetenzen der SchülerInnen, sagt er.
So bleibt auch das Versenden von Arbeitsblättern via E-Mail trotz aller Technik manchmal die einzige Möglichkeit, um die Auszubildenen zu erreichen.
Beide Berufsschullehrer berichten, dass die Schüler sich auch untereinander online austauschen und dabei Chat Tools wie zum Beispiel WhatsApp nutzen, Apps, die Berufsschulen aus Datenschutzgründen nicht nutzen dürfen und daher auch nicht nutzen wollen. Anders als Birke macht Lensing die Erfahrung, dass die Akzeptanz des „online Lernens“ und die damit verbundene Freistellung der Berufsschüler an seiner Schule in Nordrhein-Westfalen seitens der Betriebe nicht immer gegeben ist.
Erstes Resümee
„Das online Lernen funktioniert gut, wenn es gut organisiert ist“, erzählt Lensing aus Erfahrung. Er ist der Meinung, dass das online Learning eine wichtige Unterrichtsergänzung ist, denn das digitale Lernen fördert das selbständige Arbeiten, ist sich Lensing sicher und jeder Schüler kann in seinem eigenen Tempo lernen. Seine Erfahrung ist, dass insbesondere die Lernvideos von den Schülern gut angenommen werden. Als Vorreiter befürwortet er, dass Lernvideos schulübergreifend zur Verfügung gestellt werden. Er hat bereits mit seiner im Jahr 2006 gegründeten Webpage www.wikidental.de, ein Online-Lernbuch mit Lernvideos einen Grundstein dafür gelegt.
Für die Zahntechnik gibt es nicht viele Lernvideos und weitere Unterrichtsmaterialien und wie Birke wünscht auch Lensing sich mehr Beteiligung der KollegInnen an der Erstellung der Lehr- und Lernmaterialien, der Lernvideos und dem gegenseitigen Austausch über das Lernmanagementsystem Moodle. Lehrmaterialien, die von Verlagen erstellt werden, nützen nur bedingt, dass sie immer diversen Urheberrechten unterliegen und daher gerade digital nicht verwendet werden dürfen. Die PAZ betreibt auch eine Moodle-Plattform, über die das für alle KollegInnen möglich wäre.