"Es muss uns gelingen, wieder mehr junge Menschen für das Handwerk zu begeistern. Für das Handwerk, wo ich meine Ausbildung machen möchte, für das Handwerk, wo ich anschließend meinen Meister machen möchte, aber auch für das Handwerk, wo ich mich später selbstständig machen möchte."
Lutz Bigl, Vorstandsmitglied des VDZI
16.05.2022
In naher Zukunft soll ein wachsender Anteil der Handwerksbetriebe an eine Nachfolgerin beziehungsweise einen Nachfolger übergeben werden. Laut einer Studie des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) aus dem Jahr 2020 ist bereits fast jeder vierte Betriebsinhaber im Handwerk der Altersgruppe der über 60-jährigen zuzuordnen. Die demografische Entwicklung ist dafür verantwortlich, dass in den kommenden Jahren bei bis zu 125.000 Handwerksbetrieben die Übergabe an einen Nachfolger vollzogen werden dürfte. Bei vielen Betrieben ist die Übergabe nicht geregelt. Es werden qualifizierte Nachfolgerinnen und Nachfolger gesucht. Letzteres stellt die größte Hürde für einen erfolgreichen Übergabeprozess dar.
Um das Thema der Unternehmensnachfolge konkreter zu fassen, hat sich Zahntechnik TELESKOP hierzu mit Lutz Bigl, Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI), zusammengesetzt. Lutz Bigl verrät im Interview unter anderem, weshalb eine frühzeitige Planung der Betriebsübergabe unabdingbar ist und was Erfolgsfaktoren im Übergabeprozess für den Betriebsinhaber sind.
Warum ist das Thema der Unternehmensnachfolge so wichtig?
Lutz Bigl: In Zukunft wird es vermutlich noch schwieriger werden, einen Nachfolger zu finden. Denn es werden tendenziell mehr Betriebe auf den Markt kommen, als Existenzgründer, die bereit sind, diese zu übernehmen oder überhaupt neu zu gründen. Das liegt daran, dass der Inhaberanteil, also der Anteil der Übergeber, die einen Nachfolger suchen, demografisch bedingt in Zukunft stark zunehmen wird. Und nicht jeder, der sich im Handwerk selbstständig macht, will auch ein Unternehmen übernehmen. Viele gründen lieber neu. Außerdem zögern viele potentielle Nachfolger mit ihrer Selbstständigkeit, weil sie Sorge haben, in Zukunft geeignete Mitarbeiter zu finden. Zuletzt spielt auch eine Rolle, dass junge Menschen eine akademische Tätigkeit einer Karriere im Handwerk vorziehen.
Wann sollte die Laborinhaberin beziehungsweise der Laborinhaber optimalerweise mit der Übergabeplanung beginnen?
Lutz Bigl: Die Sensibilisierung für die Unternehmensübergabe sowie deren Planung sollte frühzeitig, das heißt ab dem 55. Lebensjahr, also circa zehn Jahre vor Ende der beruflichen Aktivität, begonnen werden. Spätestens dann sollte sich der Betriebsinhaber die Frage stellen, was mit dem Betrieb passiert, wenn der Ruhestand bevorsteht oder man krankheitsbedingt ausfällt. Und wer ein potentieller Käufer sein könnte und ob es im engeren Umfeld – in der Familie oder im Betrieb – geeignete Personen gibt.
Welche Möglichkeiten der Nachfolgeregelung gibt es?
Lutz Bigl: Es gibt insgesamt drei Arten der Unternehmensnachfolge. Erstens die familieninterne Betriebsübernahme. Etwa die Hälfte der zur Unternehmensnachfolge anstehenden Betriebe werden an Familienmitglieder übergeben. Bei dieser Form wird unterschieden zwischen der vorweggenommenen Erbfolge, bei der der Betriebsinhaber zu Lebzeiten den Betrieb vollständig einem Erben überträgt, und der schrittweisen Übergabe durch eine Unternehmensgründung in Form einer Personen- oder Kapitalgesellschaft. Zweitens die Pacht oder Miete durch den künftigen Unternehmensnachfolger. Wenn der Betriebsinhaber nicht mehr als Geschäftsführer seines Betriebs fungieren möchte, diesen aber noch nicht verkaufen kann oder will, kommt meist diese Variante der Betriebsübernahme zum Tragen. Hier gilt es zu beachten, dass der neue Unternehmer keinen Kaufpreis finanzieren muss, da der Betrieb nicht in seinen Besitz übergeht. Stattdessen wird ihm der Betrieb inklusive der Betriebseinrichtungen und der Maschinen gegen monatliche Zahlungen zur Verfügung gestellt. Bei gewünschten Veränderungen oder Vergrößerungen des Betriebs ist er nicht frei in seiner Entscheidung und kann diese nur mit Einwilligung des Eigentümers vornehmen. Die dritte Möglichkeit der Nachfolge besteht im Kauf eines Betriebs durch den Unternehmensnachfolger. Bei dieser Form der Nachfolge übernimmt der Unternehmensnachfolger das Eigentum des Unternehmers mit allen Wirtschaftsgütern, Forderungen und Verbindlichkeiten. Auch können nur Unternehmenseinheiten oder Geschäftsanteile übernommen werden.
Was ist für eine erfolgreiche Übergabe von essenzieller Bedeutung?
Lutz Bigl: Als Betriebsinhaber muss ich mich frühzeitig mit dem Thema der Unternehmensnachfolge auseinandersetzen. Ich muss für den Fall, dass eine familieninterne Nachfolge vorgesehen ist, prüfen, ob die Eignung und Bereitschaft derer, die mir nachfolgen sollen, vorhanden sind. Und ich sollte frühzeitig eine Notfallregelung treffen. Diese zielt darauf ab, die Geschäftsfähigkeit im Falle von Krankheit oder sogar Tod des Betriebsinhabers aufrechtzuerhalten. Eine rechtzeitige Vorbereitung der Betriebsübergabe ist zu empfehlen genauso wie die Sicherstellung der Übergabefähigkeit des Betriebs. Weiterhin sollte eine sachliche Bestimmung des Kaufpreises vorgenommen werden. In einigen wenigen Fällen ist dieser rein emotional begründet und damit nicht realistisch. Oberstes Gebot bei dem Prozess der Übergabe ist außerdem eine offene Kommunikation gegenüber dem Nachfolger. Optimalerweise planen Betriebsinhaber außerdem einen Übergabezeitraum ein, in dem der Nachfolger ausreichend eingearbeitet werden kann.
Worauf achten potentielle Käufer beim Auswahlprozess besonders?
Lutz Bigl: Der Betriebsinhaber kann bei einem potentiellen Käufer dann punkten, wenn er einen attraktiven Kundenstamm, moderne Maschinen, eine positive Ertragslage und einen fairen Kaufpreis vorweisen kann. Ab und an gibt es Fälle, in denen die Betriebsinhaber den tatsächlichen Wert ihrer Firma falsch einschätzen. Ungünstig ist es auch, wenn der Betrieb zwar viele Aufträge verzeichnet, die Maschinen in naher Zukunft aber ausgetauscht werden müssen oder viele der Mitarbeiter kurz vor dem Ruhestand stehen. Das alles mindert die Attraktivität des Betriebs. Auch deshalb ist es wichtig, sich frühzeitig mit der Nachfolgeregelung auseinanderzusetzen und die Mängel vor dem Verkauf zu beheben oder eine Vorstellung davon zu bekommen, welcher Preis verlangt werden kann. Der realistische und faire Wert für Handwerksunternehmen lässt sich mit Hilfe eines bundesweit standardisierten AWH-Bewertungsverfahrens mit Unterstützung der Beratungsstellen bei den Handwerksorganisationen sehr gut errechnen.
Wo finden scheidende Laborinhaberinnen und Laborinhaber Hilfe?
Lutz Bigl: Erste Anlaufstelle sind die Handwerkskammern in der jeweiligen Region. Die dortigen Betriebsberater können dem Betriebsinhaber mit Rat und Tat zur Seite stehen. Deren Beratung ist zudem kostenfrei und neutral.
Was ist grundsätzlich notwendig, um die allgemeine Situation zu verbessern?
Lutz Bigl: Der entscheidende Punkt ist: Es muss uns gelingen, wieder mehr junge Menschen für das Handwerk zu begeistern. Für das Handwerk, wo ich meine Ausbildung machen möchte, für das Handwerk, wo ich anschließend meinen Meister machen möchte, aber auch für das Handwerk, wo ich mich später selbständig machen möchte. An dieser Stelle passiert in den letzten Jahren schon sehr viel von Seiten des Handwerks. Ich möchte beispielsweise auf die Imagekampagne des Handwerks hinweisen, die jungen Menschen das Handwerk näherbringen und diese für das Handwerk begeistern möchte. Wir haben gesellschaftlich das Problem der Über-Akademisierung. In der Vergangenheit haben sich circa ein Drittel der Abiturienten für ein Studium entschieden, mittlerweile ist es so, dass über 50 Prozent der heutigen Abiturienten studieren. Wir müssen aufzeigen, welche vielseitigen Möglichkeiten das Handwerk bietet. An die Politik muss immer wieder mit Nachdruck die Forderung herangetragen werden, die Entbürokratisierung endlich ernst zu nehmen und voranzutreiben. Die ausufernde Bürokratie ist ein schwerwiegender, weiterer Grund für die „Übernahmeunwilligkeit“ junger Kolleginnen und Kollegen. Das Schlagwort „Digitalisierung“ ist zwar in aller Munde, es nützt aber nichts, wenn sinnlose bürokratische Verwaltungsprozesse digitalisiert werden. Sie werden dadurch nicht sinnvoller und praxisbezogener. Das ist eine von vielen Aufgaben von berufsständigen Vertretungen, immer wieder den Finger in diese Wunde zu legen.
Weitere Infos zur Imagekampagne des Handwerks finden Sie hier.
Weitere Infos zum "AWH-Verfahren zur Bewertung von Handwerksbetrieben finden Sie hier.
Laden Sie sich hier das Handbuch "Unternehmensbewertung für Handwerk und Mittelstand" herunter.
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